Buchtipp : Serdar Somuncu - Der Antitürke

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Levent
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Buchtipp : Serdar Somuncu - Der Antitürke

Beitrag von Levent »

Somuncu kenne ich noch aus seinen Zeiten bei Nightwash , in den letzen Monaten sah ich ihn auch im Quatsch Comedy Club in Pro Sieben.
Heute habe ich mir sein Buch" Der Antitürke" gekauft und muss sagen: Ich bin herbe enttäuscht worden.
Die ersten Seiten enthalten nur Zeilen aus seinen Kabarett Programmen die er bei Nightwash und dem Quatsch Comedy Club beigesteuert hat, dass kann ein schlauer Leser natürlich sofort erkennen, insofern er die Darbietungen des Herrn Somuncu im TV und Web studiert hat.
Auf den ersten zweindundvierzig Seiten werden die Klischess von Deutschen und Türken plattgetreten, dann geht er noch kurz auf die Unterschiede ein, dass nicht jeder Deutsche blond und blauäugig ist und der typische Türke keinen schwarzen Schnauzbart trägt.

In Kapitel II geht er auf den geschichtlichen Aspekte ein, woher sie kommen, warum sie nach Deutschland kamen. Auf Seite 56 wandelt er auf kulinarischen Pfaden und erklärt dem interessierten Leser die Vielfalt der türkischen Küche, dass fälschlicherweise nicht immer aus Döner und Lahmacun besteht, wobei der Döner mit Fladenbrot , wie wir ihn kennen, eine pfiffige Erfindung eines türkischen Imbissbudenbetreibers aus Berlin war; insofern hat der Döner mitnichten mit türkischer Kultur zu tun. In der Türkei isst man Döner feingeschnitten mit Reis (Pilav) , gegrillten Tomaten und Paprika und Pide auf einem Teller.
Auch ist Lahmacun und Kebap kein typisches türkisches Produkt, sondern es sind eher Erzeugnisse aus Ostanatolien. Kurden und Araber sind bei dieser Art von Gerichten, die wahren Meister.

Interessant auch die Tatsache, dass der türkische Ayran, dass Pendant zum russischen Kefir oder dass indische Lassi ist, in diesem Punkt habe ich von Herrn Somuncu etwas dazugelernt.

Auf Seite 88 fängt es dann an politisch zu werden, der lange Weg zur Demokratie heisst das Kapitel, wobei Türkei und Demokratie ist eine Sache für sich.
Der Putsch von 1960 ist von linksorientierten Offizieren in die Wege geleitet worden, war mir auch zwar auch neu…aber anscheinend fehlende Geschichtskenntnisse..denn unter den Offizieren befand sich auch der verstorbene Anführer der stramm panturanistischen Partei Alparslan Türkes und dieser Mann ist ganz und gar nicht als linksorientiert zu bezeichnen.
Er und seine Idealistenbewegung waren für politische Morde und Massaker zwischen 1970-1980 verantwortlich, unter anderem auch an den blutigen Pogromen gegen die alevitische Minderheit in Kahramanmaras, wo 105 Menschen starben.

Dann lässt er sich noch über die konservativ-islamistische AKP aus und hat für die Vorgänge aus meiner Sicht den richtigen Blickwinkel, aber es steckt zu wenig Zündkraft in seinen Ausführungen, den Holocaust an den Armeniern, möchte er nicht als Holocaust gedeutet wissen und lässt dieses pikante Tabuthema aus. Hitler liess sich doch selber von Talaat Pasha zu dem Genozid inspirieren. In einer Rede vom 22. August 1939 soll Hitler vor Offizieren der Wehrmacht über den noch zu erobernden „Lebensraum im Osten“ gesagt haben: „Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier? Dieses umstrittene Zitat kursiert im WWW und diversen historischen Traktaten.

Gäbe es in der Türkei von Erdogan eine Demokratie , könnte man doch solche Diskussionen ohne staatlichen Zensurzwang führen, stattdessen wird man wegen Beleidigung des Türkentums angezeigt und wandert wegen seiner Meinung in den Knast und unter Erdogan hat sich nicht viel geändert, sonder aus meiner Sicht ,hat es sich sogar erheblich verschlechtert.

Part III des Buches beschäftigt sich mit dem türkisch-deutschen Alltag und einige goldenen Regeln mit Umgang mit Türken in Deutschland.
Und hier wird das Buch auf einmal interessant , weil Somuncu zaghaft Kritik am Islam übt, dass das Kopftuch ein Zeichen der Unterdrückung wäre , es nichts mit der Türkei zu tun hat, sondern mit dem Islam.
Vor allem fallen ihm auch dieselben Sachen auf, die mir auch auf der Strasse bei diesen Damen auffallen. Eine „normale“ Muslima trägt ihr normal gebundenes Kopftuch und dazu eine Kleidung die ihre Reize bedeckt und sogar im tiefsten Sommer hat man einen hässlichen langen , möglichst grauen Mantel zu tragen, früher trug man sogar noch den schwarzen Tschador (Carsaf).
Die jungen Muslimas allerdings tragen hier ihren Turban und laufen in hochhackigen Schuhen und möglichst engen Röcken wo hinten der String zu sehen ist.
Lustig wie er darauf hinweist, ob er jetzt von fundamentalistischen Moslems aufgeschlitzt wird, nur weil er es wagte offen den Islam zu kritisieren.
Und ja, die Religion des Friedens wird von verschiedenen Männern mit Vollbärten und Kaftan in tausend Variationen interpretiert, die Suren im Koran sind auschliesslich in Arabisch, natürlich gibt es von dem Buch auch türkischen Versionen, wobei der Verdacht besteht, dass es nicht 1: 1 wiedergegeben wird.
Der Gebetsruf des Muezzin war vor 1950 auf türksich , bevor ihn die Regierung Menderes mit ihrem Wahlsieg wieder in arabisch erschallen liess.

Aber ich zitiere mal selber Herrn Somuncu :
„In der Unbedarftheit einer orientierungslosen-übertoleranten Lebenseinstellung hat man ihn Deutschland schon längst den extremen eine differenzierte Haltung überlassen und so ein gefundenes Fressen für die Demagogen geschaffen.
Zur Toleranz gehört eben nicht nur, dass man bedingungslos hinnimmt, was der andere sagen will, sondern auch, dass man fundiert und sachlich argumentieren kann, wenn man es selbst nicht will. Ich wünsche mir von den Deutschen manchmal etwas mehr Mut zur Intoleranz und mehr Willen zur Aufklärung von Wissenslücken, dann gäbe es nur eine Antwort auf diese Fragen: „Moschee? Wie bitte? Beten könnt ihr zu Hause, und um gläubig zu sein, brauche ich kein hundert Meter hohes >Minarett. Wer soll außerdem im Industriegebiet von Köln den Muezzin hören? Kulturverein, schön und gut, aber nur, wenn man es wirklich um türkische Kultur geht“
Das hat Herr Somuncu richtig konstatiert, über vierzig Jahre haben die Türken in dreckigen Hinterhöfen in Hallen gebetet, es gab keine Minarette und jetzt auf einmal sollen auf einmal prächtige repräsentativen Moscheen gebaut werden, mit 55 hohen Minaretten, finanziert von arabischen und türkischen Fundamentalisten, denn vorher hat es ja wohl keine * Zensiert * interessiert wo die Muslime gen Mekka beteten.
Haben Ehrenmorde etwas mit der türkischen Kultur zu tun? Oder war es ok, dass man Importbräute nach Deutschland brachte, die kein Wort Deutsch konnten und die dann als Geburtsmaschinen von ihren Ehemännern missbraucht wurden. Steht es im Koran, das Frau , drei Meter mit Alditüten bepackt hinter ihrem bärtigen Ehemann zu laufen hat?


Stellenweise kam es mir im Buch so vor, dass ein deutscher Soziologiestudent empirische Untersuchungen über die türksiche Diaspora in Deutschland zum Besten gab, unter anderem ist mir die brilliante Art des Schreibens aufgefallen.
Es liest sich vor allem sehr flüssig und das kleine Büchlein ist schnell gelesen.
In einem Satz macht Herr Somuncu einen eklatanten Fehler begangen: Gegen eine Zahlung von 10.000 Euro ,würde man nur Dienst von einem Monat ableisten.
Fakt ist jedoch die Tatsache, dass man 5.112 Euro bezahlt und nur einen 21-tägigen Wehrdienst ableistet. Auch die Bemerkung, dass man sich unter seinesgleichen befindet, sehe ich nicht so. Ich fühlte mich nicht unter Meinesgleichen, im Gegenteil , ich war wieder heilfroh aus der Kaserne wieder zu entfliehen.
An dem Buch vermisste ich die sarkastischen und überzogenen Seitenhiebe die er live auf seinen Bühnenshows zum Besten gibt, das Buch ist keine Provokation , eher ein informatives Sachbuch , was sich mit den Befindlichkeiten des Deutsch-Türkichen Verhältnis befasst, eine Aufforderung mehr türkisch, kurdisch , lazisch oder armenisch zu lernen.



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