Istanbul S.O.S

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Levent
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Istanbul S.O.S

Beitrag von Levent »

Der Weltspiegel berichtete heute über ein interessantes Thema.
Stolz und selbstbewusst präsentiert sie sich, die Europäische Kulturhauptstadt 2010 Istanbul. Geht es nach der Anzahl der Postkartenmotive, wohl kaum eine andere Metropole der Welt kann es mit ihr aufnehmen. Ihre zu Stein gewordene 2.600 jährige Geschichte erzählt von nicht weniger als drei Weltreichen, die von hier aus regiert wurden. 1985 erklärte die UNESCO die Altstadt zum Weltkulturerbe. Jahr für Jahr lockt dieses rund sieben Millionen Touristen hierher.
Was Racit Sessizs Fahrgäste so gut wie nicht zu sehen bekommen, sind Bilder wie diese: "Denkmalschutz" a la Turka: Durch Verfall, mit der Abrissbirne oder, wie hier, mittels Brandsatz - Profitgier und ebenso ehrgeizige wie rücksichtslose Stadtplanungen sanieren ganze Viertel der Bosporus-Stadt kaputt. Istanbul läuft deshalb schon seit Jahren Gefahr von der Weltkulturerbe-Liste der UNESCO gestrichen zu werden.
Das wird die Immobilienspekulanten und die AKP Verwaltung unter Topbas nicht interessieren, ob die Unesco sie von der Liste streicht oder nicht, der Rubel soll schließlich rollen.
Nur wenige Türkische Lira auf dem Taxameter weiter: das Viertel Balat. Hierher chauffiert Racit Sessiz nur selten Touristen. Dieses ehemals griechisch-jüdische Viertel wurde von der UNESCO Mitte der 1980er Jahre zum Weltkulturerbe erklärt: es gehört zu den ältesten noch erhaltenen in ganz Istanbul - eine Fundgrube für Historiker, Soziologen und Maler - aber auf Abruf.

Cigdem Sahin ist sozusagen die Stimme der Bürger von hier:
"Die Stadtverwaltung möchte hier im Zuge eines Erneuerungsprojekts die alten Gebäude abreißen, neue Luxuswohnungen, ein Einkaufszentrum sowie Boutique-Hotels bauen und so die historische und architektonische Struktur völlig verändern."

Die Stadtverwaltung scheint dabei auch nicht zu stören, dass in die Renovierung einiger Häuser von der EU gerade erst in den letzten Jahren viel Geld gesteckt worden ist. Luxuswohnungen müssen heutzutage eben groß sein, dafür kann man die kleinteiligen und verwinkelten Grundflächen dieser historischen Gebäude nicht mehr brauchen.

"Evime Dokunma" - zu Deutsch: "Lasst eure Finger von meiner Wohnung" steht deshalb hier auf vielen Gebäuden.
Was dem Viertel Balat noch bevorsteht, ist hier schon eingetreten: Dies ist, oder besser dies war, Sulukule. Presse ist hier nicht willkommen…

Sulukule liegt direkt an der alten Theodosianischen Stadtmauer, deren Disney-hafte Restaurierung der UNESCO ein Dorn im Auge ist. Sulukule galt als das älteste Roma-Viertel der Welt - eine Geschichte, die man weggebaggert hat. Trotz aller Proteste der UNESCO: Auch hier entsteht ein Luxusviertel auf historischem Baugrund.

Zwei Taxistunden von Sulukule entfernt wurden den Vertriebenen neue Wohnungen angeboten. Die meisten Wohnungen aber stehen leer, den Roma sind sie zu weit draußen und zu teuer.

Ein ehemaliger Bewohner von Sulukule:
"Die konnten sich das hier einfach nicht leisten - die Raten oder Mieten nicht bezahlen. Sie sind gegangen, weil sie hier einfach ihren Lebensunterhalt nicht verdienen konnten. Ich bin jetzt ein Jahr hier, werde aber auch gehen, weil ich es nicht aushalte."

Sulukule wurde schon abgerissen und platt gemacht, früher konnte man dort Parties feiern. Bauchtanz und Raki, gehören der Vergangenheit an, dank der AKP Stadtverwaltung.


Hier der Link, wo man eine Petition, gegen den Bauwahn in Istanbul unterzeichnen kann.

http://www.gopetition.com/petitions/istanbul-sos.html


Quelle : http://www.daserste.de/weltspiegel/beit ... d2w~cm.asp
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