Mein Text ist einsam
Wenn ich in dir wäre, könnte ich still werden und unsere Ruhe genießen. Ich würde dir unter die Haut fahren, oder dich schützend umgeben, meine Haut über deiner Haut, es ist ganz einerlei, weil es wechselt und bleibt.
Die Nacht ist lautlos, nur angefüllt mit unseren Sätzen, im Dazwischen fühle ich Dich so nah, daß es schmerzt. Aber es tut nicht weh, weil Stille keine Wunden schlägt. Der Schmerz ist nur ein Ziehen von hier nach da.
Jeden Satz sprechen wir gemeinsam, auch wenn nur eine Stimme hörbar scheint. Ich möchte diese Sätze einpflanzen, und ich sehe riesige Beete von gewachsenen Sätzen, ein unendliches Feld, auf dem wir beide schweigend arbeiten als wäre nichts geschehen.
Oder wir werfen die Sätze wie Saatkörner in den Wind und verharren dann in den Armen der Zeit, in aller Zeit dieser Welt und aller vergangenen Welten. Wir sehen, und wir sind stumm: Das Gefühl, daß alles gesagt ist, was Zeit und Welt zusammenhält.
Ich lese in die Jahre hinein, die wir getrennt waren, lese deine Worte, und ich beginne zu weinen um diese Zeit, weil wir uns nicht hören konnten. Wer ist diese Person, die wir waren, ohne zu wissen, daß sie von sich geschieden werden muß?
Das Voneinander-Getrennt-Sein ist auch ein Getrennt-Sein von sich selbst. Das Vorstoßen in fremdes, brachliegendes Land ist eine Exkursion der Sinne. Märchengleich, Hand in Hand und mit unerschütterlicher Zuversicht geht es nun tief und hoch hinaus.
Einst unter derselben hellen Haut: was könntest du mir erzählen, was ich nicht schon weiß, weil es uns geschah, lange bevor wir uns trafen? Unsere Strafe war nicht das Getrennt-Sein, sondern die Gewißheit, daß wir letztenendes nie mehr „ ganz“ sein können.
Das bis hierher überlebte Leben sitzt im Nacken der gegenwärtigen Zeit wie ein Gespenst, dem der Schrecken genommen worden ist. Es wartet, es ruht, es findet den Schlüssel noch nicht, um hineinzugehen, sich auszubreiten und zu verzeihen.
In den Stunden ohne dich ist die Zeit ein anderer Raum. Wenn ich deine Stimme höre, tief in der Nacht, ist die Welt von einer ganz anderen Qualität, und kostbar ist jeder Augenblick, denn die Zeit ist knapp hier und vergeht schneller, als anderswo.
Ich warte auf dich hinter der Biegung des Weges zum ersten Traum. Dort verharre ich in der erregenden Stille, die mein Herz im Rhythmus der vergehenden Zeit schlagen läßt.
Wir können uns helfen das Leben zu leben, gab man uns als Trost mit auf den Weg.
Und ich sehe, wie du zögerst, so als fürchtest du, Zeit zu verlieren. Aber ich sage dir, es ist nicht so, weil uns die gemeinsame Zeit auf ein Konto in der Ewigkeit geschlagen wird: Wir gewinnen Zeit, obwohl sie uns nicht zu bleiben scheint.
Und in dem Moment, da du dich entscheidest, werde ich wach, wo immer ich auch bin. Du weckst mich nie: es ist immer gleichzeitig, und ich bin darauf eingestellt, und ich rufe mich, und du kommst. Etwas hört auf, und alles beginnt von Neuem.
Wir sehen uns schlafend zu gänzlich verschiedenen Zeiten, wir bewachen uns und unsere Träume, es möge uns nichts Böses geschehen. Wir sehen uns wachend, einer des anderen Begleiter auf allen Wegen, so, wie es immer war.
Die größte Befriedigung erfährt denen, die ihre Gedanken miteinander teilen und wieder zusammenfügen können, ohne, daß ein Wort davon verloren geht. Ein Vergehen und Werden in Zeit und Raum. Dies zu empfinden ist uns vergönnt.
Das Wissen um die Kostbarkeit dieses Geschenks läßt uns manchmal die Trauer über unsere Trennung vergessen. Manchmal, nicht immer. Denn das Hier und Jetzt heißt ich und du und Mann und Frau. Aber es ist immer weniger als das, was wir verloren und gewonnen haben.
Wir werden gehen und sehen und geben und nehmen. Das, was wir waren wird ruhig schlafen können, und das, was wir werden, wird mehr sein als ein auf die Erde geworfenes und zur Blüte gebrachtes S a m e n k o r n.
Denn im Grunde ist alles ganz einfach.
von: Gabriele Werth
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Ich wollte Euch diesen einsamen Text nicht vorenthalten, und aufgrund der Länge und wohl auch der Schwierigkeit sehe ich von einem Übersetzungswunsch ab. (Obwohl es _total_ klasse wäre, wenn das jemand könnte und täte!)
however, genießt ihn, und habt Freude daran!
Viele herzliche Grüße,
Cordula
Mein Text ist einsam-erf.
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