Direkt aus dem Büro der öffentlichen Sporthalle hatte ich ja schon ein paar Lebenszeichen gesendet...
Zur Erinnerung: Ich wurde tatsächlich in aller Frühe abgeholt und zwar erst mit Taxi, dann weiter mit dem Dolmuş bis zu einem Mords-Busbahnhof in İzmir. So was kannte ich auch noch nicht.
So riesig wie hierzulande die Flughäfen. - Also, wirklich für mich beeindruckend: 2 Etagen und für jede Stadt ein eigener Terminal.
Und dazu dann Reisepreise, von denen man hier nur träumen kann. Die knapp 100 km bis Akhisar kosteten schlappe 9 YTL. Und obendrein bekommt man noch während der Fahrt 'nen Nescafé serviert.
Den gab's allerdings erst, als wir aus dieser wahnsinnig großen Stadt raus waren und die Strecke schön kurvig wurde...

Nach ca. einer Stunde Überlandfahrt waren wir in Akhisar. Unterwegs hat mir Mehmet die ganze Zeit fein erzählt, was es draußen alles zu sehen gibt. Uni, Waldgebiete, Rosinen-Anbau...
Vor den Kasernen von Izmir und Manisa standen lange Schlangen ziviler Personen mit reichlich Plastiktüten. Sonntags ist Besuchstag. Aha.
Auch interessant: Da haben sie ein Riesenteil von Denkmal oben an die Straße zwischen die Berge gepflanzt. Extra 2004 per Helikopter hingestellt - nur leider ist es so groß und eben zwischen 2 Bergen,

In Akhisar angekommen, stiegen wir auf einem zentralen, sonnigen Platz aus.
Zunächst haben wir einen Friseurladen besucht. Ich hatte zwar erwähnt, dass ich in der Türkei zum Friseur will, aber gleich früh morgens ??? - Eigentlich stand mir der Sinn nach:

Schnell gemerkt: Der Laden wird von Mehmets Schwester betrieben... das war auf den ersten Blick zu sehen.
Nach Tee trinken und einem türkischen Kaffee und ein paar Zigaretten war sie nicht davon abzubringen, mir den Kopf zu waschen...
... und einen ordentlichen Haarschnitt bekam ich auch noch verpasst.

Der gerade ausgefallene Strom kam wieder und so ich auch noch zu einer Fönwelle.
Als ich dann fragte, was sie für den Job bekommt, war die Antwort: "Ist Geschenk!"
In dem Moment war mir klar, dass es hier ganz und gar anders ist, als in der Touristenhochburg von Alanya.
Dieser erste Eindruck hat sich die gesamte Woche über nur bestätigt.
Sie lieh uns dann ihr Auto und wir fuhren zu Mehmets Haus.
Als wir durch die Hoftür kamen, wurde mir Weiteres klar: "Komm mich in meinem Haus besuchen." bedeutete:
Ich komm hier direkt in die komplette Grossfamilie... HUCH!
Den Tisch im Garten hatten sie schon gedeckt, reichlich Schüsseln drauf mit lauter leckeren Sachen und reichlich Leute waren auch schon da. Anne, 2 Schwägerinnen, Bruder, Kusine, Kleinkind-Nichte, ... später kamen noch Baba, große Schwester samt Mann und 2 Kindern, usw... Drumherum 7 Katzen, Sonnenschein - 20 Grad - haaach...
Am frühen Nachmittag konnten Mehmet und ich nicht mehr. Wir hatten ja beide die Nacht mit Reisen durch gemacht. Er aus Kemer von der Muay-Thai-Meisterschaft angereist und ich aus dem deutschen Land.
Also warfen wir uns im Wohnzimmer auf 2 von den 3 Sofas. Außerdem gab's im Raum noch ein Eckschränkchen mit dem Fernseher drauf, einen Ofen, dessen Rohr quer unter der Decke lang lief, ein winziges Tischchen zwischen 2 Sofas und eine Garderobenleiste. Das war's.
Kaum waren wir weg gedöst, kam auch schon Anne mal nachgucken. Einzelne Worte krieg ich ja mit.
Sie hatte den Vorwand, ob wir noch Tee wollten. (Innerlich hab ich mich weg geschmissen, weil meine Mama in Teenie-Tagen auch immer genau dann Wäsche in meinen Schrank packen wollte, wenn ich mal Besuch hatte.)
Eine halbe Stunde später machte sie ihren 2. Kontrollgang, warf mir eine Decke über und war dann wohl beruhigt.
Wir lagen immer noch vollständig bekleidet jeder auf seinem Sofa und machten die toten Fliegen...

Gegen 18 Uhr waren wir dann wieder fit, die Sonntagsbesucher wieder weg und in der Dämmerstunde haben wir uns dann in der näheren Umgebung etwas die Beine vertreten, bevor das Abendessen angesagt war. Dazu wurde auf den Teppich des Wohnzimmers ein ca. 15 cm hoher Ring gesetzt, Tischdecke drüber und großes Tablett mit allerlei Schüsseln oben drauf. Hingehockt, Stück Decke über die Beine, Löffel und Gabel geschnappt und los.
Später dann waren wir noch direkt nebenan beim kleinen Bruder (Baba hat die einstöckigen Häuschen selber alle aneinander gebaut.), wo ich noch mehr Verwandte kennen lernte und mir vorkam, als sei ich interaktiv in einer türkischen Familien-Fernsehserie gelandet. Egal, wohin man kommt, der Fernseher läuft übrigens sowieso die ganze Zeit mit. An diesem Abend kam ich in den Genuss von "popstars alaturk", wenn ich mich nicht gerade an der Mimik und Gestik erzählender anwesender Personen erfreute. Gelegentlich hat Mehmet mir auch mal was übersetzt, zum Beispiel, als seine alte Anne sich plötzlich bäuchlings auf den Teppich legte... (sie erzählte von einem Stranderlebnis

Am nächsten Tag war so super Wetter, dass wir im Garten frühstücken konnten und dann sind wir Richtung Stadt gewandert. Akhisar hat teilweise noch richtig schöne alte, verwinkelte Gassen aus griechischen Zeiten. An der Hauptstraße wollte ich dann etwas Geld tauschen und ich brauchte auch eine neue Turkcell-Karte, weil ich länger als ein halbes Jahr nicht in der Türkei war, ließ sich die alte nicht mehr wiederbeleben.
Den Herrenfriseur-Laden vom kleinen Bruder musste ich natürlich auch besuchen und dann waren wir in der öffentlichen Sporthalle. Dort trainiert Mehmet seinen Muay-Thai-Sport und ist bestens befreundet mit dem Hüseyin im Büro. Wir haben uns da täglich Nescafé in den Hals gegossen und konnten fein den Laptop nutzen.

Gleich am ersten Tag dort kam noch ein kleiner, dicker, freundlicher Mann im Anzug dazu und plötzlich hieß es: "Hadi gel!" Wir fahren jetzt zum Knast. Hääää? - Egal - einfach mitmachen, dachte ich mir.
Zu viert ins Auto und tatsächlich zum Gefängnis von Akhisar; großer Aufwand beim Reingehen... Handys abgeben, Schuhe aus, Gürtel raus, Schleuse, extra Kammer zum Abtasten durch weibliches Personal für mich...
... dann gehen wir ein paar Meter am Hof entlang rechts rein und sind im Büro des Direktors.
Erstmal Tee trinken. Dann konnte ich mir mein Teil schon denken und lag auch richtig: Hüseyin und Mehmet hatten eine Audienz, weil sie sich ein Projekt für gefährdete Jugendliche ausgedacht haben. Sie wollen die Kids mit Sport von der Straße locken und sind auf der Suche nach öffentlichen Mitteln dafür.
Aus dem gleichen Grund haben wir dann später auch noch das Rathaus aufgesucht und auch den sehr, sehr dicken Ex-Bürgermeister in seiner Apotheke. Über ihm hing an der Decke (wirklich!) ein aufgepusteter Plastikelefant und er saß... und aß.

Also, wie ihr bis jetzt schon merken konntet, ich habe eigentlich keinerlei touristische Ziele besucht, sondern bin einfach so mitgelaufen. Besonderheiten gab es natürlich schon. Mir zu Ehren wurden wir bei den Schwestern zum Abendessen geladen zum Beispiel. Allenthalben versuchte man ständig, mich zu mästen. Am Abreisetag hat Anne mir dann noch Oliven, eine Cola-Flasche voll Olivenöl und Tomatenpaste mit Pepperonis in den Koffer gestopft.
Der Abreisetag wurde auch noch eine nette "türkische" Prüfung für mich. Ich sollte 2 Stunden vor Abflug (23:15 Uhr) in Izmir sein. Großer Bruder mit Auto startete dann auch endlich ca. 20:15 Uhr, wusch aber nach dem Tanken erst noch das Auto... hielt schon nach 2 km wieder, weil für die schrecklich lange Fahrt noch Cola-Dosen gekauft werden mussten und kurvte dann in Izmir selber in der City herum bis in eine winzige Gasse, stieg aus, telefonierte und entschwand in einem Haus. Es war bereits 21:30 Uhr und ich ein bisschen irritiert. "Was ist los?" "Ach, er muss gerade noch was messen." (Großer Bruder baut Einbauküchen. Seine eigene ist ca. 8000 € wert, eingebaut in eine Hütte, die ca. 5000 gekostet hat.

30 Minuten vor Abflug am Flughafen angekommen, fand ich dann auch so schon knapp genug.
